Samstag, 31. Januar 2009

Die Erde lebt, die Erde bebt


In Punta Arenas, im "Hospedaje Magallanes", bei dem ausgewanderten Leipziger Sebastian und seiner chilenischen Ehefrau, treffen wir Olaf, auch ein ausgewanderter "Ossi". Er lebt mit seiner chilenischen Frau und ihrem gemeinsamen ein einhalb Jahre alten Sohn in Coyhaique, der in Zentralpatagonien gelegenen Hauptstadt der Provinz Aysén, 420 km suedlich von Chaitèn. Die Kleinstadt stellt fuer viele Touristen das Sprungbrett in die suedliche Carretera Austral dar. Der Flughafen von Balmaceda ist nur 50 km entfernt, Touranbieter haben ihre Bueros am Ort und werben fuer Angel-, Rafting-, Gletscher-, Trekkingtouren und Rundreisen. Coyhaique ist nicht nur Tourismuszentrum der Region, sondern versorgt auch die ganze groessere Umgebung und deren Bewohner, wie die grossen und gut bestueckten Supermaerkte, die vielen Tankstellen, der riesige Baumarkt, die Vielzahl an Uebernachtungsmoeglichkeiten, zu gehobenen Preisen, und die ca. 100 m lange Fussgaengerzone zeigen.

Olaf hat sich zwei Standbeine geschaffen, mit denen er seine wirtschaftliche Unabhaengigkeit abstuetzt. Zum einen bietet er 12-Tages-Touren entlang der Carretera Austral an, bei denen er mit seinen Kunden die wichtigsten Highlights anfaehrt und die er auch im Internet bewirbt. Waehrend unsers Gespraechs nennt er uns wichtige Sehenswuerdigkeiten und gibt uns grosszuegig die Adressen der Hostales und Menschen, die er auf seinen Fahrten besucht. Uns faellt auf, dass es groesstenteils ausgewanderte Deutsche sind, die in Patagonien ein neues Leben angefangen haben, teils in der Landwirtschaft oder ausschliesslich in der Tourismusbranche ihr Glueck versuchen. Vielleicht ist das aber auch nur ein Zufall. Sie scheinen zusammen zu halten, die Auswanderer,in diesem wilden, rauhen Land.
Zum anderen hat Olaf in Deutschland den Beruf des Vermessers gelernt und Vermesser gibt es in Patagonien wenige. Er ist ein gefragter Mann, denn in Patagonien wird viel ver- und gemessen. Er erzaehlte, dass er zwei Wochen spaeter wieder mit einem Team der BBC zu diesem Zwecke unterwegs sein wuerde. Tatsaechlich begegneten wir waehrend unserer Reise immer wieder Arbeitern, die entweder auf Seen von Schlauchbooten aus, aber auch zu Land irgendwelche Messungen vornahmen. Auch auf meiner Gletscherwanderung im Valle de Exploradores wies mich mein studentischer Fuehrer auf eine Messstation auf dem Eis hin.

Und was wird da alles so gemessen?
Zum einen die Geschwindigkeit, in der die Gletscher abschmelzen, denn das tun sie nicht nur bei uns, sondern auch in Patagonien und sie bewegen sich auch langsam ins Tal und kalben dann in Seen oder ins Meer oder sie fliessen in Form von Wasserfaellen in die Fluesse. Vor 20 Jahren reichte der Glaciar Balmaceda nahe dem Nationalpark Torres del Paine einige Kilometer noerdlich von Puerto Natales noch bis in den Fjord. Heute endet er ca. 80 m weiter oben am Abhang und das Schmelzwasser stuerzt in Wasserfaellen in die Meerenge. Doch die Gletscher sind laengst nicht das einzige, was gemessen wird. Seine geographische Lage entlang der Nahtstelle der pazifischen Platte und der Kontinentalplatte hat zur Folge, dass das and haeufig von Erdbeben erschuettert wird und dass es viele Vulkane gibt, die zuweilen auch ausbrechen, so z. B. im Jahre 1991 der Vulkan Hudson. Dabei wurde das Tal des Flusses Ibañez komplett von Vulkanasche bedeckt. Noch heute zeugt der "Bosque muerto", der "tote Wald" mit seinen vielen verbrannten, in den Himmel ragenden, erstickten Baumstaemmen von dieser immensen Naturkatastrophe. Da nur wenige Menschen, verglichen mit der deutschen oder auch europaeischen Bevoelkerungsdichte, in dieser Region leben und somit unmittelbar betroffen waren, ihre Haeuser aufgeben mussten oder ihr Land verloren, habe ich zumindest noch nie davon gehoert. Allmaehlich erholt sich die Flora und Fauna des Tales. Einen neuerlichen Ausbruch kann niemand voraussagen, also wird gemessen.

Urspruenglich wollten Kurt und ich unsere Fahrt in Puerto Montt beginnen. Uber die Insel Chiloé wollten wir an deren Suedspitze mit der Faehre nach Chaitén uebersetzen. Doch im Mai vergangenen Jahres brach unvorhergesehener Weise nahe der Kleinstadt der gleichnamige Vulkan aus. Heisse Lavamassen flossen bis in die Strassen des Ortes, was dazu fuehrte, dass die Einwohner evakuiert werden mussten und die Stadt praktisch zum Erliegen kam. Der Vulkan kam seither auch nicht mehr zur Ruhe. Vulkanologen befuerchten gar eine gaenzlichen Einsturz des Vulkankegels, weil sich darunter moeglicherweise eine riesige Magmablase befindet. Als wir am 2. 1. ueber den Vulkan hinweg flogen, konnten wir ihn sogar qualmen sehen. In der Woche davor hatte es wieder eine kleinere Eruption gegeben. Bis kurz vor unserer Reise verfolgte Kurt im Internet die neueste Entwicklung um heraus zu finden, ob die Faehverbindung ueberhaupt noch bestand. Wir erhielten nirgends eine verbindliche Antwort, so dass wir unsere Route kurzfristig aenderten und nach Balmaceda flogen.
Die letzte Information war nun, dass die Regierung beschlossen hat, die zerstoerte und unsichere Stadt aufzugeben und sie an einem anderen Ort neu aufzubauen. Dennoch wird dort natuerlich weiterhin viel gemessen!
Um Puyuhuapi, weiter noerdlich wird die geschotterte, enge Trasse der Carretera derzeit verbreitert und streckenweise auch geteert. Es muss viel Fels gesprengt, viele Suempfe trocken gelegt, viel Unebenheit kuenstlich begradigt werden. Dabei wird auch allerorten viel gemessen.
Und Olaf erzaehlt uns an diesem Abend von weiteren "unerklaerlichen Naturphaenomenen" in der weiteren Umgebung von Coyhaique. Dort beobachteten Einheimische, dass sich vor einigen Monaten in einem See ploetzlich das Wasser zurueck gezogen haette, der Wasserspiegel kurzfristig merklich gesunken sei. Eine Weile spaeter sei das Wasser dann zurueck gekehrt. Messungen ergaben, dass sich dort tatsaechlich "irgend etwas bewegt" habe, doch das Phaenomen sei nach wie vor ungeklaert. Olaf meint, irgend was sei da los, ergaenzt aber etwas gereizt, dass die Oeffentlichkeit darueber nicht wirklich unterrichtet wuerde. Er wisse auch nicht mehr. Die offiziellen Stellen huellten sich in Beschwichtigungen bzw. Schweigen. Niemand will den aufkeimenden Tourismus gefaehrden oder die Bevoelkerung verunsichern. Also ziehen Forscherteams von Geologen aus aller Welt und von allen namhaften Instituten und Universitaeten durch das Land und beobachten, nehmen Proben, untersuchen, forschen, analysieren, entwickeln Thesen und messen. Und weil sie dazu Vermesser brauchen, die ortskundig sind, rufen sie Olaf an und nehmen ihn mit.
Auch an der Pazifikkueste wird gemessen: In Puerto Aysen begegne ich wieder den Hinweisschildern, die zeigen, in welche Richtung wir zu rennen haetten, wuerde sich ein Tsunami naehern. Doch anders als in Iquique ist das Hinterland hier flach, eine versandete Fjordbucht und Kurt und ich bemerken nur platt, dass man da aber verdammt schnell rennen muesste. Olaf, der Experte, meinte zu Puerto Aysen, dass er da nicht wohnen wollte. Das sei ihm zu gefaehrlich, er habe Frau und Kind!
Auch das ist Patagonien. Kurt und ich haben das Glueck, auf unserer Tour nicht Augenzeugen unmittelbarer Erdbewegungen oder dergleichen geworden zu sein.

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